Skip to main content

Mit der Europa-Union nach Apulien.

Ich erzähle Freunden und Bekannten über meine bevorstehende Reise - und die erste Frage, die zu beantworten ist:

Wo – zum Henker – liegt Apulien?

Dabei ist diese Frage, ohne Rückgriff auf umständliche erdkundliche Beschreibungen, überaus einfach zu beantworten: Apulien befindet sich genau auf dem Absatz des italienischen Stiefels, zieht sich hoch bis zum „Stiefelsporn“, den es gerade noch umfasst. Damit ist zumindest die geografische Lage schnell und präzise erklärt.

Durchaus umfangreicher ist die Antwort auf die sich anschließende Frage:

Was gibt es denn dort zu sehen?

Die Antwort beschränkt sich aber im Wesentlichen auf den, für Italien nicht ungewöhnlichen Dreiklang:

Architektur - Wein – Geschichte.

Mit einem ausführlicheren Blick auf unsere Reise, die Ende Mai/Anfang Juni 2022 stattfand, werde ich dieses Tripel im Folgenden mit Leben füllen.

Apulien, italienisch Puglia, ist historisch betrachtet vor allem „Stauferland“. Die Staufer waren ein Adelsgeschlecht, das vom 11. bis zum 13. Jahrhundert mehrere römisch-deutsche Könige und Kaiser hervorbrachte. Hier sticht historisch Friedrich II. hervor. Von Zeitgenossen „stupor mundi“, „das Staunen der Welt“ genannt, staunte unsere Reisgruppe im Angesicht seiner gewaltigen Trutzburg Castel del Monte, dem berühmten Profanbau mit seinem achteckigen Grundriss. Castel del Monte, Motiv unzähliger Werbeaufnahmen von Firmen aus aller Welt, nicht zuletzt aber weltberühmt als Vorbild für den 30 Meter hohen Bibliotheksturm  aus dem Film „Der Name der Rose“.

Nur 33 Straßenkilometer aber ziemlich genau 1.460 Jahre trennen die „Steinerne Krone Apuliens“ von einem Schlachtfeld an den Abhängen der Murge in Nähe der Mündung des Flusses Aufidus. Am 2. August 216 v.Chr. vernichtete in der Schlacht von Cannae das karthagische Heer unter Hannibal die mit 16 Legionen zahlenmäßig überlegenen Römer unter Führung der Konsuln Lucius Aemilius Paullus und Gaius Terentius Varro. Unser Militärexperte Fritz Garben erläuterte mit seiner außerordentlichen Sachkenntnis am vermuteten Ort der Schlacht den Verlauf sowie deren militärhistorische Bedeutung als Paradebeispiel einer Umfassungsschlacht, die bis heute an Militärakademien gelehrt wird.

Nach dieser Schlacht stieg bei allen die Lust auf einen angenehmen Abschluss eines gelungenen Tages. Hierfür war die Weinverkostung im Weingut  „Piarulli Vini ed Olio“ im apulischen Corato perfekt geeignet. Apulien ist eines der Stammländer der Primitivo-Rebe, die hier seit 150 bis 250 Jahren angebaut wird. Der Primitivo gehört zu Apulien wie bei uns der Riesling zum Rheingau.

Nahrungsaufnahme für Geist und Körper sind die wesentlichen Merkmale einer Reise mit der Europa-Union. Nahrung für den Geist sind die architektonischen und künstlerischen Meisterwerke kirchlicher Sakralbauten. Im Frühsommer werden die Besichtigungen der Kirchen gerne und häufig gestört – oder besser begleitet - von Trauungen mit allem was dazu gehört. Wir hatten daher das Glück – oder Pech - unterschiedliche Hochzeiten zu erleben, oft, aber nicht immer gemeinsam mit der Besichtigung von Kirchen in denen sie stattfanden.

Für das leibliche Wohl hat Apulien neben dem Wein eine Fülle von Spezialitäten im Angebot. Eine davon ist unzweifelhaft das aus der Stadt Altamura stammende „Pane di Altamura“, das es nirgends besser zu genießen gibt als in der Bäckerei „Antico Forno Santa Chiara“ in Altamura selbst. In entspannter, schattiger Atmosphäre lässt sich die Anstrengung eines Stadtspaziergangs bei der für uns ungewohnten Hitze vergessen.

Auch wenn es sich bei unserer Tour um eine Apulienreise handelte, war ein kurzer Abstecher in die Nachbarregion Basilikata notwendig und geboten. Es wartete die UNESCO-Welterbestätte Matera, bekannt für seine Altstadt, die zu einem erheblichen Teil aus Höhlensiedlungen – den Sassi – besteht. Eindrucksvoll war neben dem Blick auf die Altstadt, die sich an die Innenseite eines amphitheatergleichen Talkessels schmiegt, die Besichtigung einer Wohnhöhle, eines Sassi. In der „Casa Grotta del Casalnuovo“ war zu sehen wie die Menschen dort bis in die 60er Jahre des 20. Jhdt. ihr tägliches Leben bewältigten. Die Sassi wurden in den 50er Jahren zwangsgeräumt, 1986 wiederentdeckt und unter Denkmalschutz gestellt.

Was wäre eine Reise in den italienischen „Stiefelabsatz“ ohne eine Umrundung von dessen Südspitze per Schiff. Dieses besondere Highlight bestand in einer Schiffstour im Golf von Tarent zu den Höhlen von Mannute auf dem Katamaran „Utopia“. Dort wo das Ionische Meer auf die Ausläufer der Adria trifft und eine ordentliche Dünung Schiff und Mägen bewegte, ging ein Großteil unserer Gruppe buchstäblich baden. Nach einem Blick auf den südlichsten Punkt Apuliens (der südlichste Punkt des italienischen Festlandes liegt allerdings in Melito di Porto Salvo in Kalabrien) dem Leuchtturm des Badeortes Santa Maria di Leuca ging es wieder zurück an unseren Ausgangsort Torre Vado.

Nicht nur die Küste, auch das Landesinnere Apuliens hat seine besonderen Orte. Unter anderen die bezaubernden Städtchen Martina Franca und Ostuni. Die Altstadt von Martina Franca ist – nach Lecce – die zweite berühmte Barock-Stadt Apuliens. Davon zeugt insbesondere die Piazza Plebiscito mit dem Dom San Martino sowie der Palazzo dell'Università mit seinem charakteristischen Uhrturm. Der Ortskern des anderen von uns besuchten Städtchens Ostuni liegt auf drei Hügeln mit Blick auf die Olivenhaine vor der Adriaküste. Als Besonderheit ist von Ostuni hervorzuheben: Die hervorragend erhaltene Altstadt mit ihrem Gewirr von Gassen und Stiegen zwischen den typischen weiß gekalkten Häusern.

Bekannter als Martina Franca und Ostuni ist unzweifelhaft Otranto. Nicht nur, weil die Stadt Namensgeber der Meeresstraße von Otranto ist, sondern auch als historisches Einfallstor zahlreicher Sarazenenangriffe auf das italienische Festland. Als östlichste Stadt Italiens liegt sie lediglich 160 km vom albanischen Festland entfernt und daher in einer für die Angreifer günstigen Lage. Hauptsehenswürdigkeit Otrantos ist unzweifelhaft die Kathedrale Santa Annunziata mit den großen Bodenmosaiken aus dem 12. Jahrhundert. Gegen die Überfälle von See sollte die mächtige Stadtmauer mit der Festung Castello Aragonese schützen, was allerdings – wie die Geschichte beweist – nicht oft gelang.

Von den vielen Sehenswürdigkeiten der Provinzhauptstadt Lecce ragt die Basilika Santa Croce ganz besonders heraus. Die reich verzierte Fassade mit sechs glatten Säulen, die ein Gebälk mit Tieren, grotesken Figuren und Pflanzenmotive tragen, sowie die große Fensterrosette strahlen in der hellen Sonne Südapuliens in unvergleichlicher Pracht. Neben den Sakralbauten Lecces lässt zudem das hervorragend erhaltene römische Amphitheater, im Stadtzentrum gelegen, das Herz der Altertumsinteressierten in unserer Gruppe höher schlagen.

Neben den großen Kirchen, der Landschaft und den Bauten des Altertums und der Stauferzeit hält Apulien noch mehr Überraschungen für uns bereit. Unbedingt sehenswert sind die Grotten von Castellana, die Stalaktiten, Stalagmiten und Kalkablagerungen sowie Wandsinter enthalten, die durch physikalische und chemische Vorgänge entstanden sind.

Eine Besonderheit, gleichzeitig eines der Wahrzeichen Apuliens findet sich in der Stadt Alberobello. Alberobello glänzt durch die unvergleichliche Ansammlung ihrer Kegelbauten, den Trulli, die nach dem Vorbild von Hirtenhütten entstanden. In Alberobello bestehen ganze Stadtteile aus Trulli, daher gehört der Ort seit 1996 zum UNESCO-Welterbe. Diese Auszeichnung birgt allerdings einen Wermutstropfen, der auch uns zunehmend bewusst wurde: Die Auszeichnung als UNESCO-Welterbestätte zieht tausende Touristen an, durch die das Städtchen leider viel von seinem ursprünglichen Charme eingebüßt hat.

Gegen Ende der Reise steht endlich auch die apulische Hauptstadt Bari auf unserem Besichtigungsprogramm. Unter dem bereits eingangs erwähnten Stauferkönig Friedrich II. erlebte die Stadt durch den Aufstieg zur süditalienischen Handelsmetropole eine erste Blütezeit. Bereits 1087 aber entwendeten italienische Seefahrer die Gebeine des Heiligen Nikolaus aus seinem Sarkophag in Myra in der heutigen Türkei und brachten sie nach Bari, wo sie heute in der Basilika San Nicola lagern sollen.

Für die kulinarisch interessierten Mitglieder unserer Reisgruppe war allerdings der Bummel durch Baris Arco-Basso-Straße, der Strada delle Orecchiette ein Höhepunkt. Die nicht etikettierte Pasta in der zu erwerbenden No-Name-Tüte ist nicht irgendein Nudelprodukt: Es sind Orecchiette, in Heimarbeit und in aller Öffentlichkeit hergestellt von Frauen aus Baris Altstadt. Die sich zumeist im hohen Rentenalter befindenden Nudelkünstlerinnen zaubern in unglaublicher Geschwindigkeit mit einem kleinen, billigen Küchenmesser mit Plastikgriff und zwei geschickten Händen aus einer Teigrolle kleine ohrenförmige Nudeln, die Orecchiette.

Am letzten Tag unserer Reise kommen wir mit der Besichtigung der apulischen Hafenstadt Egnazia oder besser gesagt von dem was von der Stadt noch übrig ist, wieder zurück zur römischen Epoche, die bereits am ersten Tag mit dem Schlachtfeld von Cannae im Zentrum stand. Hier schließt sich sozusagen auch aus historischer Sicht der Kreis unserer Reise. Sie führte uns von 216 v.Chr. bis in die Zeit der Sarazenenüberfälle im 11.Jhdt. sowie über die Stauferzeit bis in die Neuzeit. Wir besichtigten prachtvolle Sakralbauten aus tausend Jahren Kirchenbaugeschichte, architektonische Meisterwerke wie das Castel del Monte, Naturwunder wie die Tropfsteinhöhle von Castellana und machten nicht zuletzt die Bekanntschaft mit hervorragendem apulischem Primitivo-Wein und anderen landestypischen Spezialitäten.

Die Fülle von Informationen, die wir insbesondere von unserer sehr guten Apulien-Führerin Dr. Gabriele Schreder erhielten, waren reichlich und intensiv, gaben unserer Reise aber auch ihre unvergleichliche intellektuelle Würze.

  • Aufrufe: 287