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Atomkraft – Auslaufmodell oder Zukunftsvision?

Eine Verlängerung von Laufzeiten der deutschen Kernkraftwerke (KKW) sollte eine energiepolitische Umsteuerung flankieren. Möglicherweise würden sich auch neue Optionen für die Nutzung der Kernkraft eröffnen: neuer Typ von Druckwasserreaktoren wie in Frankreich, Finnland, oder gar langfristig über die Variante Kernfusion. Dies beleuchtete Dr. Jürgen Müller, Physiker und Strahlenbiologe, in einer kritischen Analyse während eines Abendvortrags vor der Europa-Union Rendsburg-Eckernförde, am 13. Juni 2023 in Kronshagen, „Bürgerhaus“. Jegliche Laufzeitverlängerung würde allerdings eine Nachrüstung der KKWs bedeuten. Die Anlagen müssten dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik angepasst werden. Andernfalls wäre dies nicht genehmigungsfähig. Und offene Fragen von Zwischenlagern und vor allem der Endlagerung radioaktiven Materials blieben bislang unbeantwortet.

Der Referent war ehemals tätig in der atomrechtlichen Aufsichtsbehörde der Landesregierung Schleswig-Holstein.  Er steht somit für die wissenschaftliche Ebene und für den atomrechtlichen Vollzugsbereich. So konnte er der Zuhörerschaft der gut besuchten Runde den technischen Gang der Energiegewinnung über Kernkraft plausibel erläutern: von einer kontrollierten nuklearen Kettenreaktion zur Energieabgabe über Brennelemente, dort Wassererhitzung und Dampferzeugung für den Antrieb von Turbinen. Er eröffnete der Runde sogar die Geheimnisse des Atoms und den Anfangspunkt mit Otto Hahns erfolgreichem „Neutronenbeschuss“ im Jahre 1938. Er ließ den Fall einer unkontrollierten Kettenreaktion im Fall der Atombombe nicht unerwähnt.

Dr. Müller legte das Für und Wider der KKW-Nutzung offen:
positiv sei, dass durch die KKWs keine Treibhausgase entstünden, verglichen mit dem erheblichen Ausstoß bei fossilen Energien. Allerdings sei der preisliche Aspekt bei den KKWs problematisch, bei Einrechnung der Folgekosten, bis hin zur schwierigen, politisch heiklen Suche und Findung eines Endlagers. Auch der zeitliche Aspekt sei relevant: Die Abbauzeit eines KKWs betrage 20 – 40 Jahre, sie sei erheblich länger als die Bauphase.

Die Zuhörerschaft erhielt auch eine kritische Revue über die nachteiligen Folgen – von Gesundheit der Menschen bis zu Landschaftsfolgen - des Uranabbaus.
Dr. Müller nannte hier als Spitzenreiter in der Uranförderung Kasachstan, dann den Niger (mit niedrigen Schutzstandards), Namibia und Australien.  Auch die DDR hinterlässt problematische Altlasten des Uranabbaus, mit seinerzeit niedrigen Arbeitsschutzstandards. Unter Tage gibt es Folgeprodukte des Uran mit der Abgabe von hohen Strahlungswerten.

Der Referent betonte, die öffentliche Diskussion um Laufzeitverlängerung oder über neue Varianten übersehe auch, dass derzeit keine neuen Fachkräfte mehr in einen auslaufenden Bereich hineingingen. Vor allem würde die Forschung ausgedünnt.

Dr. Müller bewertete die neuen KKW-Ansätze im Ausland eher kritisch. Die in Frankreich und Finnland vorgesehenen neuen Druckwasserreaktoren seien sehr teuer. Und die derzeit nur theoretisch diskutierte Kernfusion berge erhebliche offene Fragen. Vielleicht sei diese Variante erst in 50 Jahre bereit?

Die im Anschluss an den Vortrag entstehende Diskussion bezog sich vornehmlich auf kritische Punkte der Entsorgung: Struktur der Zwischenlager auf dem Gelände der KKWs, ungelöste Bestimmung eines Endlagers. Etliche Mitdiskutanten verfügten erkennbar über einen fachlichen, beruflichen Bezug zum Thema. Sie erläuterten die komplexe Dramatik um Gefahren einer Lagerung, eines Transports und auch einer Umlagerung von radioaktivem Abfall in geeignete Behältnisse. So blieben nach der anspruchsvollen Diskussion offene Fragen.

Dr. Müller hatte die Diskussion um die Thematik schon eingangs durch ein literarisches Zitat untermauert: beim Atom ginge es wie bei Goethes Faust I um die Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält.

 

Rainer Wiechert

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