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Zeitenwende in Brüssel. Wie reagiert die EU auf strukturelle Herausforderungen?

Die Frage, was soll Europa am Ende sein, ist bislang unklar. Seit der letzten Europawahl hat sich die Europäische Union von Krise zu Krise bewegt. Dies geschah im Ganzen gesehen relativ erfolgreich. Aber nur über Verhandlungen zwischen Regierungen: „intergouvernemental“ in Ministerräten, weniger über die EU-Institutionen.

Der Kreisverband der Europa-Union Rendsburg-Eckernförde widmete sich der Frage, welche Gestalt Europa denn annehmen soll, in einer Mitgliederversammlung am Samstag, dem 04. März 2023 in Altenholz. Der Europaabgeordnete aus Schleswig-Holstein, Niklas Herbst, stellte sich dort dieser Zukunftsfrage in seinem Vortrag: „Zeitenwende in Brüssel. Wie reagiert die EU auf strukturelle Herausforderungen“?

Die Europäische Union habe sich zwar relativ gut durch schwierige Zeiten bewegt, wie durch die Finanzkrise und während der Corona-Pandemie. Aber es gab dort eine Bewegung eher weg von den EU-Institutionen, hin zu Verhandlungen und Beschlüssen in den Ministerräten. Und dort gilt immer noch in Kernfragen das Erfordernis der Einstimmigkeit.

Der Referent wies mit kritischem Unterton darauf hin, dass der nur für finanzielle Notfälle vorgesehene Artikel 122 des EU-Vertrages mittlerweile überdehnt werde. Hierüber sei die erste Schuldenaufnahme der EU geregelt worden, in dem Sinne, dass von der Haushaltsordnung abgewichen werden konnte. Das EU-Parlament ist hier aber nur am Rande verfahrensmäßig beteiligt worden.

Herr Herbst wies auf die kommenden Zinslasten hin, die Haushaltsspielräume auf EU-Ebene beschränken würden. Zum Schuldenabtrag sei in Zukunft die Schaffung von neuen Eigenmitteln der EU vonnöten. Anforderungen in Zukunftsbereichen, z. B. in der erklärten Klimapolitik, ließen sich nicht anders finanztechnisch bewältigen.

Der Abgeordnete wies darauf hin, dass durch die besagten außergewöhnlichen Anforderungen nun eine neue Regelungswut seitens der EU entstanden ist. Dies sei den Bürgern oft verständlich. Gerade bei der Vermittlung der Europa-Idee komme ja der Europa-Union eine herausragende Rolle zu, und Niklas Herbst bat auch hier in der Runde in Altenholz um Bündnishilfe.

Der Krieg um die Ukraine gab dem Referenten Gelegenheit, die mangelnde Rolle der EU bei Waffenlieferungen zu markieren, auch wenn Haushaltsmittel einer „peace facility“ zügig abgeflossen seien. Das Kerngeschäft der akuten Waffenlieferungen an die bedrängte Ukraine lande aber wiederum in der Gemengelage von Mitgliedsstaaten. Hier hob Herr Herbst das vorbildliche Engagement der baltischen Staaten und Schweden, Finnlands hin. Deutschland bliebe auch hier in der Aktionsfähigkeit zurück.

Herr Herbst legte selbstkritisch dar, dass die Europa-Abgeordneten noch nicht genügend Wirkung bis in die Wählerschaft in den EU-Ländern entfaltet hätten. So fehle es an einer ausgereiften und prägnanten Debattenkultur im Parlament selbst. Die Beiträge von einzelnen Abgeordneten würden überwiegend nur über Video-Clips in die Öffentlichkeit zuhause transportiert. Der offene Streit eben in Debattenform komme zu kurz.

In der anschließenden Diskussion wurde die Rolle Deutschlands auf EU-Ebene genauer diskutiert. Herr Herbst bemängelte, dass Deutschland zu weitgehend durch Enthaltungen in den Ministerräten hervorträte, oder eher sich verstecke. Die Niederlande und Dänemark gäben ein besseres Beispiel ab. So gab der Referent der Mitgliederversammlung mit, dass man vereint gegen die daraus entstehende Bürgerferne der EU kämpfen müsse.

Rainer Wiechert

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