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Die Europa-Union besucht Vorpommern und orientiert sich über die grenznahe Zusammenarbeit

In Vorpommern eröffnet sich die vertraute norddeutsche Architektur, und mit der Insel Usedom erschließt sich ein Naturprofil, dass von verträumten Küsten bis zu belebten Tourismuspunkten viel bietet. Ein Einblick besonderer Art ist möglich bei Überfahrt der deutsch-polnischen Grenze, die kurz vor Swinemünde nur einen sanften Schengen-Übertritt darstellt. Die Europa-Union des Kreisverbandes Rendsburg-Eckernförde bereiste im September 2023 mit dem Bus diese Region während einer 6tägigen Gruppenreise. Ein Vergleich mit der deutsch-dänischen Grenzregion, die auch in einer Gruppe bereist worden war, konnte gezogen werden. Das Reiseangebot der Europa-Union wird somit weiterhin gut angenommen und bietet sowohl Kurzweil, touristische Eindrücke als auch Zugang zu politischen Themen. Dies in diesem Fall grenzüberschreitend in die polnische Nachbarschaft.

 

Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist für Norddeutsche ein vertrautes Terrain. Schon bei der Anreise mit dem Bus („Riesebyer“) eröffnete sich der ostseenahe Landrücken mit seinen eiszeitlichen Formationen. Bei einem Halt bei Anreise in Teterow sichtete die Gruppe typische Backsteinbauten. Hochsommerliches Wetter während der ganzen Reise begleitete die gut gelaunte Gruppe, die sich aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde und darüber hinaus gebildet hatte.

Die Anfahrt durch die Fritz-Reuter-Stadt Stavenhagen machte auch kulturell klar, dass Fritz Reuter, zusammen mit Klaus Groth, das Spitzenduo der niederdeutschen Literatur abbildet und somit Schleswig-Holstein mit seinem Nachbarbundesland eng verbindet.

Die Gruppe wohnte in Heringsdorf auf der Insel Usedom während der ganzen Reise. Nicht nur hier ist eine imponierende Entwicklung nach der deutschen Einheit zu beobachten. Dies gilt nicht nur für den Tourismus und die Erweiterung der Infrastruktur – Stichwort: Seebrücken. Die Infrastruktur im Verkehrsbereich und im kommunalen Bereich hat ein neues Gesicht erhalten. Im maritimen Bereich ist das sog. „Blaue Wunder“ in Wolgast zu erwähnen, eine Klappbrücke für Straßen- und Eisenbahnverkehr gleichermaßen. Es ist für diese Region vorteilhaft, dass in Wolgast weiterhin eine renommierte Werft besteht: „Peene-Werft“, der norddeutschen NVL-Gruppe angegliedert. Die Werft arbeitet auch Aufträge für die Bundesmarine ab. In Greifswald dagegen gibt es nur noch eine Werft für ausgewählte Hochpreisyachten.

Greifswald war im Übrigen eines der Ziele bei „kontinentalen“ Ausflügen, dann überwiegend über die Brücke bei Zecherin.  Die Gruppe machte sich mit der langen Stadtgeschichte, mit Übergang in die Hansezeit bekannt. Die frühe Gründung der Universität im Jahre 1456 markierte neben dem vorteilhaften Handelsplatz schon früh wichtige Aktiva von Greifswald. Die für Deutschland belastende Epoche des Dreißigjährigen Krieges hinterließ hier aber durch die lange schwedische Besatzungszeit bis 1815 eher positive Erinnerungen. Die Backsteinbauten in Greifswald wurden auf dem Marktplatz auch durch barocke Bauten aus der schwedischen Zeit ergänzt.

Der Greifswalder Dom enthält eine künstlerische Note blockübergreifender Zusammenarbeit in DDR-Zeiten. Mitte der Achtziger Jahre gestaltete der zuletzt in Schilksee wohnhafte Hans Kock einen hellen Altar aus gotländischem Kalkstein. Es gab eine finanzielle Unterstützungsaktion für eine allgemeine Neugestaltung des Domes durch die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche, die Evangelische Kirche Schwedens und natürlich durch die örtliche pommersche evangelische Kirche. Die Domneugestaltung hatte somit auch eine schleswig-holsteinische Beteiligung.

Die Gruppe besuchte das Pommern-Museum in Greifswald. Das Themenspektrum reichte von darstellender Kunst – Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge, bis zu allen historischen Epochen. Die Zusammenarbeit mit dem Nachbarn Polen in früher problematischen historischen Feldern wurde imponierend aufgelöst durch eine Führung (in einer der beiden Gruppen) eines polnischen Muttersprachlers.

Zeitgeschichtliche Fragen kamen insbesondere beim Besuch des Museumskomplexes Peenemünde zum Tragen. Hier wurde die Geschichte der Raketentechnik plastisch erläutert, die schon vor 1933 begann, in der Startphase auch mit dem jungen Wernher von Braun. Es wurde deutlich, dass schon in Peenemünde während des Zweiten Weltkrieges alle technischen Grundmuster des späteren Weltraumwettlaufs und strategischen Raketenrüstungsprogramms zwischen den Großmächten vorgezeichnet waren.

Die Gruppe konnte bei bestem Wetter die Seele baumeln lassen bei einer Schiffsfahrt vom Bootshafen Zinnowitz aus, vom südlichen Teil der Inselküste im Bereich des sogenannten Achterwassers, inmitten eines Naturparks. Dieser Naturpark ist grenzüberschreitend mit den polnischen Nachbarn gestaltet, es gibt zweisprachige Infohinweise.

Die polnische Seite wurde durch einen Ganztagesausflug über Swinemünde nach Stettin erkundet. Ein belesener und mit vielen Anekdoten ausgerüsteter polnischer Reiseleiter führte die Gruppe auf die polnische Seite von Usedom, nach Swinemünde. Er erläuterte umfassend auch die deutsche Zeit, so z. B. das Wirken von Theodor Fontane in einem heute erhaltenen Haus. Hier entstand der Roman „Effi Briest“. Auf der Insel Wollin – in der gleichnamigen Stadt wurde der Reformator Johannes Bugenhagen („Dr. Pomeranus“) geboren, der für den norddeutschen wie dänischen Raum evangelische Kirchenordnungen entwickelte.
Durch die nun fertig gestellte Tunneldurchfahrt unter der Swine (mit großem Finanzanteil aus dem EU-Budget) wurde die Gruppe auf die Nachbarinsel Wollin gefahren. Die polnische Seite baut eine vierspurige Schnellstraße von Swinemünde bis Stettin und erhofft sich wirtschaftliche Impulse, bis zum Großraum Berlin.
Stettin stellte sich als moderne und belebte Metropole dar, ist aber architektonisch noch stark durch Kriegseinwirkungen gezeichnet. Da grenzt es an Wunder, dass die Gebäude an den Haken-Terrassen noch stehen, benannt nach einem langjährigen Bürgermeister aus deutscher Zeit. Auch hier nahm sich der polnische Stadtführer viel Zeit, die Brücke zur deutschen Zeit zu schlagen. So ist die frühere evangelische Gertrudenkirche, in rotem Backstein gebaut, im Krieg stehen geblieben. Hier wirkte Dietrich Bonhoeffer für drei Jahre als Pastor. Das Thema Nachsorge einer Diktatur kam zum Vorschein, als der Bus an dem Gebäude des „Instituts zur Aufarbeitung der polnischen Geschichte“ vorbeifuhr, dem Pendent zur Gauck-Behörde in Polen.

Somit gab es beim Besuch auf der polnischen Seite für die Europa-Union sehr viel Brückenthemen deutsch-polnisch und mit EU-Bezug. Der aktuellste Aspekt wurde markiert durch die Rückfahrt von Stettin über die Stadt Police, durch eine waldreiche Landschaft, wieder mit einer unmerklichen Schengen-Grenze. Der polnische Reiseleiter wies darauf hin, dass hier das Hinüberströmen von Asylanten auf die deutsche Seite ein aktuelles Problem sei. Polnische Grenzschützer seien nun oft im Gebüsch versteckt, um diese Grenzübertritte zu verhindern.

Die Gruppe der Europa-Union nahm mit nach Hause, dass ungeachtet so mancher Verwerfungen auf diplomatischer Ebene nun um Usedom herum eine vorbildliche deutsch-polnische Vernetzung entstanden sei: deutsche Touristen- und damit Einnahmeströme nach Polen, polnische Arbeitnehmer füllen auf deutscher Seite Lücken. Die breite Zusammenarbeit zwischen den Grenznachbarn erfasst die Kultur- und Naturebene, soziale Einrichtungen wie den Pflegebereich, Sprachlernversuche in KITAs, den Gewässerschutz, die Verkehrsinfrastruktur. Ergänzende EU-Mittel sind für Gemeinschaftsprojekte erreichbar über ein sog. „Interreg-A-Programm“ (zwei EU-Länder beteiligt). Jeweils ein Partnerland stellt zur Antragsstellung den Federführenden, einen „Lead Partner“. Ein Förderleitfaden wurde im Bus von Hand zu Hand gereicht. So hatte die Reise des Kreisverbandes der Europa-Union nicht nur ein Höchstmaß an Sonneneinstrahlung zu verzeichnen, sondern auch einen beachtlichen Grad an politischer Bildung.

 

Rainer Wiechert

Ausflug, Usedom

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