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Jurij Andruchowitsch - literarischer Wegweiser der Ukraine nach Mitteleuropa

Die Ukraine sucht die Anbindung an Zentraleuropa. Einen literarischen Botschafter dieses Bestrebens, Jurij Andruchowitsch, konnte die Europa-Union Deutschland für eine Dichterlesung in Kiel aus seinem neuen Buch, dem Roman „Radio Nacht“, gewinnen. Der Landesverband Schleswig-Holstein und der Kreisverband Kiel der Europa-Union gastierten mit dem Dichter und einem saalfüllenden Publikum im hiesigen Landtagsgebäude, am Abend des
02. November 2022. Die Landtagspräsidentin, Kristina Herbst, begrüßte den Dichter und das aufmerksame Publikum.

Der sich gut auf Deutsch artikulierende Dichter ist mit seinem neuen Roman, erschienen im Herbst 2022 (auf Deutsch), kein Unbekannter. Hat er doch schon mit seinem polnischen Dichterkollegen Andrzej Stasiuk das Buch „Mein Europa“ vorgestellt (Taschenbuch Suhrkamp, 2004). Die skizzenhaft geschriebenen kurzen Geschichten griffen die – mitteleuropäische – Geschichte Galiziens auf, damals Kronland Österreich-Ungarns, ein nicht spannungsfreies vielnationales Gebilde. Beide Autoren gingen polnisch-ukrainisch nun gemeinsam voran. Tenor im Buch: wenn die kommunistische Epoche zusammengefallen ist, muss man gemeinsam in der Vergangenheit suchen. Das Suhrkamp-Bändchen war neben dem neuen Roman „Radio Nacht“ auch auf dem Büchertisch des Flures neben dem Tagungsraum vertreten.

Der neue Roman, aus dem Andruchowitsch einige Sentenzen vorlas, ist auch eine satirisch-kontroverse Art, sich mit der postsowjetischen Gegenwart in der Ukraine und um sie herum auseinanderzusetzen. Der „Held des Romans“, der Pianist Josip Rotsky, landet nach einem bewegten Leben – mal Revolutionär, sogar Attentäter seines Diktators - am Schluss mit seiner Geliebten auf einer Insel in Griechenland. Dort sendet sein „Radio Nacht“ rund um die Uhr ein kulturelles Programm in eine verstockte Welt.

Der Landesgeschäftsführer des Landesverbandes, Ralf Rose brachte
Talk-Show-Elemente in die Veranstaltung:  Zwiegespräch mit dem bereits durch viele Preise hoch geehrten Gegenwartsautor. Diskussionsbeiträge aus dem Publikum verwiesen natürlich auch auf den derzeitigen Krieg um die Ukraine. Der Kreisverband Rendsburg-Eckernförde war im Saal übrigens gut vertreten.

Der Lesungsabend könnte zu einer verstärkten Hinwendung zu ukrainischen Gegenwartsdichtern, Kulturschaffenden beitragen. Beispielhaft wären zu nennen: Sergej Gerassimow, mit seinem aktuellen „Tagebuch aus Charkiw“
(in der Neuen Züricher Zeitung), was ein bedrückendes Kriegstagebuch ist! Aufzuführen wäre auch Serhij Zhadan, mit seinem am Anfang Oktober dieses Jahres erschienenen Buch „Himmel über Charkiw“. Schon die Schreibung seines Vornamens weist auf eine kulturelle Abkoppelung von der eng verwandten russischen Sprache hin. Dies ist auch eine Folge in einem totalen Angriffskrieg Russlands, das in eroberten Orten zuerst ukrainische Bücher einsammelt, um die ukrainische Kultur und Sprache zu zerstören.

Rainer Wiechert

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